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Beiträge mit Schlagwort “Solotournee 2010 Dresden

Wir Zwei in Dresden

„Ein Song ist nichts weiter als eine Geschichte mit Musik“ (Hank Williams)

Ende August, Freitagabend, die Zeiger meiner Uhr ticken unerbittlich Richtung 22 Uhr 30 – ich sitze am Dresdener Elbufer, lausche den letzten Takten des Konzertes von Udo Jürgens irgendwo weit weg von der Bühne, habe aber trotzdem einen sehr guten Blick auf den Künstler, der in seinem weißen Bademantel am Flügel sitzt und gerade „Merci Cherie“ angestimmt hat. Ich lehne mich etwas nach vorne, schaue auf die Bühne und genieße diese letzten Momente eines ganz besonderen Abends.

Dass ich an diesem Abend Udo sehen musste, war klar. Schließlich spielt er nicht oft am Vorabend eines „Das-ist-MEIN-Tag“-Tages in einer Stadt, die gerade mal etwas mehr als 100 Kilometer von unserem Wohnort entfernt ist. Also hatte ich uns zwei Karten gesichert und im strömenden Regen hatten wir uns nachmittags auf die Autobahn gestürzt. Regen, gutes Stichwort – es schüttete nicht nur während der Anfahrt nach Dresden. Zwei heftige Gewitter erwischten die Stadt noch in den beiden Stunden vor Konzertbeginn – ein wirkliches Un-Wetter, bei dem Du normalerweise keinen Hund vor die Haustür schickst. In einer kurzen Regenpause gingen wir Richtung Brücke und marschierten von der Stadt zum Königsufer. Dass der nächste heftige Regenschauer uns gerade in dem Moment erwischte, als wir exakt auf Höhe der Brückenmitte waren, passt ins Bild zweier begossener Pudel, die in diesem Moment gewisse Zweifel am Sinn ihres Handelns hatten.

Schirme nutzten gar nichts, weil der Regen von allen Seiten kam – kurz: wir waren so was von nass und sogar ich erwischte mich dabei, dass ich eine halbe Stunde vor Konzertbeginn den Satz „heute kannst Du hier niemals ein Open-Air-Konzert spielen – das macht doch keinen Spaß“, aussprach.

Hatte ich das wirklich gesagt ? Ja, mir war kalt, die Hose war nass, ich sah auf der Bühne fleißige Menschen, die damit beschäftigt waren, mit Schiebern den Raum rund um das abgedeckte Udo-Klavier von Wassermassen zu befreien. Francis Coletta konnte ich erkennen, der in Zivil einen kleinen Bühnenspaziergang wagte. Vorfreude auf ein Konzert sieht anders aus. Dabei hatte ich mich so auf diesen Abend gefreut, der Sportjournalist in mir hatte sich frei genommen – Udo am Abend vor meinem „45.“ war Pflicht, passte einfach, wäre doch so wunderschön gewesen…Udo statt Lautern gegen Bayern…

Ausgerechnet ich hatte gesagt, dass dieses Konzert HIER und bei „diesem Hundewetter“ doch unmöglich stattfinden könnte. Ich konnte es selber kaum glauben, aber mir war beim Blick auf die ganzen Regenwolken und vom Himmel stürzenden Bindfäden sogar die Lust auf Udo Jürgens vergangen. Ich wollte seine Musik genießen, bei Sommer, Sonne, guter Laune. Stattdessen stand ich im Balkonbereich, war froh, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte – und hatte schlechte Laune.

19 Uhr 45 – der alkoholfreie Cocktail war okay und ein kleiner Stimmungsaufheller. So langsam überwog bei uns Galgenhumor, als wir uns angrinsten und scherzhaft meinten, „pass auf, wenn der Kollege Jürgens anfängt, geht die Sonne auf“. Unten im Bereich der Plätze vor der Bühne sahen wir nur Regenschirme, Regenmäntel, Regenponchos und nasse Konzertbesucher auf der Suche nach ihrem Platz. Irgendwann kam dann die Durchsage, dass das Mitschneiden des Konzertes verboten ist. Sollte Udo tatsächlich anfangen wollen ? Eigentlich hatten wir mit der Durchsage, „meine Damen und Herren, leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass…wir bedauern – gute Fahrt nach Hause, auf Wiedersehen“ gerechnet. Wir entschieden, doch mal nach unseren Plätzen zu schauen und stellten fest, dass man dort Regenschirme problemlos und bequem aufspannen konnte und durch Schirme keinerlei Sichtbehinderung auf die Bühne hatte. Es war sogar ganz gemütlich, ich wischte unsere Plätze mit diversen Papiertaschentüchern trocken und begann, mich wohlzufühlen. Es konnte ja eigentlich nur noch besser werden, dachte ich – und, abgesehen von den nassen Hosenbeinen, begann so allmählich sogar die Vorfreude aufs Konzert wieder zu steigen.

Udo Jürgens betrat um kurz nach 20 Uhr die Bühne, fast unauffällig. „Schicksalsgemeinschaft“, nannte er uns alle…naja, er hat ja irgendwo recht, aber im nächsten Satz sprach er das aus, was ich partout nicht hören wollte: „Wenn ein Gewitter aufzieht oder es auf der Bühne rutschig wird, müssen wir abbrechen…“ Ich schaute kurz Richtung Himmel und dachte in diesem ersten Konzertteil oft daran, „was passiert, wenn…“, zumal es erst einmal weiter regnete.

Und trotzdem, vom ersten Ton des ersten Liedes fühlte ich mich gleich wieder an dem Platz, den Udo aus aktuellem Anlass besang: An der Sonne, zu Hause, bei einem Konzert des Künstlers, den ich seit Jahrzehnten mit so viel Interesse, Sympathie und Bewunderung verfolge. Die ganzen widrigen Umstände waren vergessen, jetzt zählte einfach nur noch Udo da vorne. Ich freute mich, dass er fit wirkte, ausgeruht aussah, die Stimme fest und gut in Form – Udo wie eh und je.

Okay, die Hüft-OP, von der er uns kurz vor der WM in einem ausführlichen Interview erzählt hatte, ließ jetzt offenbar noch keine perfekte Beweglichkeit zu. Es war zu erkennen, dass sich Udo oft noch sehr vorsichtig, fast behutsam bewegte. Dass er gewisse Bewegungen betont vorsichtig unternahm – wohl, um ja kein Risiko einzugehen. Aber, hatte ich da zwischendurch nicht sogar einige Tanzschritte von ihm gesehen ? Ich freute mich über diese kleinen Zeichen während der gut zweieinhalb Stunden, die darauf hindeuteten, dass es dem Meister offenbar wirklich ganz gut geht. Und, fast genauso wichtig, dass er Spaß am Auftritt und an den Signalen aus dem Publikum hatte – zumal der Regen nachließ und dann sogar bis zum Konzertende aufhörte.

Es ist also kurz vor 22 Uhr 30, er sitzt im Bademantel auf der Bühne und spielt die letzten Lieder. Das Konzert liegt in den letzten Atemzügen und ich halte den Atem an. Ich hatte schon längst bemerkt, dass links auf der Elbbrücke Menschen standen und ausharrten, zuhörten. Sie hatten sicher nicht die beste Sicht auf die Bühne, aber sie standen dort und lauschten. Die Gesichter konnte ich leider aus der Distanz nicht erkennen, aber ich bin sicher, auch dort hat Udo Freude, Bewunderung, Melancholie und letzten Endes auch Dankbarkeit ausgelöst. All die Gefühle, die mich in den zurückliegenden zweieinhalb Stunden wieder einmal überkamen. Wie so oft in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten, in denen ich das Tun dieses Tönezauberers, dieses Seelenberuhigers, dieses Aufwühlers, dieses Dauerbrenners jetzt schon verfolge. Er hat diese Menschen auf der Brücke, die fernab von der Bühne und vom zahlenden Publikum standen und einfach nur zuhörten, genauso gepackt wie mich bei jedem einzelnen Konzert der vergangenen rund 25 Jahre.

Vielleicht war es für manche die erste Begegnung mit dem „Bühnen-Udo“. Eine Premiere also, wie für mich damals in der Düsseldorfer Philipshalle, als ich nach meinem ersten UJ-Konzert einfach nur rundum glücklich und begeistert war. Diese Menschen ahnen nicht, wie viel sie in den vergangenen Jahren verpasst haben, aber vielleicht findet der eine oder andere von ihnen nach diesem Lauschangriff noch einen intensiveren Zugang zum gesamten Werk von Udo Jürgens.

Dieser Künstler ist und bleibt ein Phänomen. Dass das Konzert wieder einmal großartig war, dass das ganze Regen-Dilemma uns erst wieder einfiel, als wir von unseren Plätzen aufstanden und merkten, dass die Hosen immer noch nass waren, brauche ich gar nicht mehr zu erwähnen. Das Programm war rundum prima und stimmig zusammengestellt; auch Francis Coletta (Gitarre) und Billy an den Percussions boten herausragende Leistungen, wie immer.

Natürlich hat das Programm jetzt nichts „Neues“ geboten, bis auf den „Ganz normalen Wahnsinn“, der ein typischer Udo-Ohrwurm werden kann. Aber große Überraschungen hatte von diesem Solo-Abend auch niemand erwartet. Es ging vielmehr darum, Udos Lieder wieder in einer sehr reduzierten Form zu hören, was mich manchmal sehr an die Arbeit von Johnny Cash oder aktuell Neil Diamond mit dem Produzenten Rick Rubin erinnert. Udo und seinen Mit-Musikern ist es wieder einmal gelungen, genau für diesen „Solo“-Ansatz, die richtigen Lieder auszusuchen und ein gut abgestimmtes Potpourri zusammenzustellen. So hörten wir viele „Geschichten mit Musik“, Geschichten in eine Musik verpackt, die verzauberte. Lieder, die in dieser Urform noch mehr zum Zuhören zwangen und das genaue Hinhören zum Vergnügen werden ließen. Und dabei zeigte das Publikum wieder einmal, dass Udo Jürgens auch in einem gewissen Alter an Ausstrahlung und Klasse nichts verloren hat – ich habe es bewusst nicht andersrum formuliert. Das Publikum hörte gebannt zu, es vergaß das schlechte Wetter, es war gut gelaunt, klatschte in den richtigen Momenten und schwieg in passenden Sekunden. Ein Publikum, das darüber hinaus sehr diszipliniert gelauscht hat und von zu frühem und unpassendem Stürmen gar nichts hielt – großartig !

Abschließend möchte ich noch schreiben, dass es mich sehr gefreut hat, dass Udo wieder auf einige Songs meines Lieblings-Textdichters zurückgegriffen hat, Friedhelm Lehmann. Leider ist er viel zu früh gestorben, aber wir verdanken ihm Texte wie „Gehet hin und vermehret Euch“ oder auch „Noch einmal 25“.

Wenn mir jemand um viertel vor 8 gesagt hätte, dass ich das Dresdener Königsufer mit einem breiten Strahlen im Gesicht verlassen würde, hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt und ihm vor Wut den Regenschirm weggenommen. Aber Udo ist doch ein Zauberer und der Wettergott hatte an diesem Abend offenbar mit uns allen dann doch noch ein Einsehen.

Ende August, Freitagabend, die Zeiger meiner Uhr ticken unerbittlich, 0 Uhr – wir sind noch auf der Autobahn, es regnet Bindfäden, ich bin ein Jahr älter und…glücklich.